Vom Theater als moralischer Anstalt zum Dichter als Gewissen der Nation oder: Von Friedrich Schiller zu Elfriede Jelineks historischem Drama Burgtheater

Autor/innen

  • Herbert Herzmann

DOI:

https://doi.org/10.11606/1982-8837.pg.2005.73702

Schlagwörter:

Wirklichkeit, Kunstcharakter, Wahrheit, Lüge

Abstract

Ungeachtet seines Realitätsgehaltes ist historisches Drama Fiktion. Literatur ‘lügt’, oder, anders gesagt, sie schafft ihre eigene Wirklichkeit und Wahrheit. Das Burgtheater als historische Institution und als Ort dramatischer Fiktion ist der Stoff von Jelineks historischem Drama. Hinter den im Stück auftretenden Kunstfiguren, die eine künstliche, vom Nationalsozialismus vergiftete Sprache sprechen, sind Mitglieder der Hörbiger Familie erkennbar. Dagegen, dass diese nicht wirklich getroffen werden, da sie in Kunstfiguren und ergo in Fiktion verwandelt sind, spricht, dass die Autorin die im Stück insbesondere gegen Käthe / Paula Wessely erhobenen Vorwürfe der Mitverantwortung an den Verbrechen des Naziregimes jenseits aller Fiktion zu meinen scheint: Die Figur der Käthe in Burgtheater hat viel mit Paula Wessely, wie sie Jelinek in ihrem Telefoninterview beschreibt, gemeinsam. Der Kunstcharakter des Stückes scheint ein Schutzmantel zu sein, unter dem die Autorin ungestraft sagen kann, wofür sie ansonsten vor Gericht gestellt werden könnte. Harald Weinrich hat erkannt, dass die Literatur, seit sie nicht mehr „lügen“, sondern die wirkliche Wahrheit und die wahre Wirklichkeit sagen will, Gefahr läuft, in den Umkreis der wirklichen Lüge zu geraten. Indem sie, anstatt sich damit zu begnügen mit ihren Fiktionen auf die Nation moralisch einzuwirken, sich höchstpersönlich zu deren Gewissen aufschwingt, kommt Jelinek in Burgtheater dieser Gefahr zumindest sehr nahe.

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Autor/innen-Biografie

  • Herbert Herzmann
    Der Autor ist Professor am University College Dublin.

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Veröffentlicht

2005-12-17

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Rubrik

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Zitationsvorschlag

HERZMANN, Herbert. Vom Theater als moralischer Anstalt zum Dichter als Gewissen der Nation oder: Von Friedrich Schiller zu Elfriede Jelineks historischem Drama Burgtheater. Pandaemonium Germanicum, São Paulo, Brasil, n. 9, p. 155–181, 2005. DOI: 10.11606/1982-8837.pg.2005.73702. Disponível em: https://revistas.usp.br/pg/article/view/73702.. Acesso em: 13 may. 2024.